#my­alpine­lesson

Am 9. August kletterte ich mit einem Gast den Biancograt. Rückblickend möchte ich diese Alpine Lesson mit euch teilen.

Der Wetterbericht hatte für den Gipfeltag sehr gutes Wetter gemeldet. Dementsprechend starteten um 4 Uhr morgens circa elf Seilschaften von der Tschierva Hütte in Richtung der bekannten Himmelsleiter – dem Biancograt.

Auf der Fuorcla Prievlusa angekommen wurde es hell und man konnte klar erkennen, dass der Wind viel stärker war als vorhergesagt (30km/h – 60 Böen), zudem verschlechterte eine tiefe Wolken- und Nebelschicht die Sicht extrem!
Wir drei Bergführer waren als Team mit je einem Gast unterwegs und nachdem wir das Thema mit dem Wind und Wetter diskutiert hatten und die Meinung unserer Gäste hören wollten, meinte der unerfahrenste Gast sehr entschlossen, dass er weiterwolle! Gesagt, getan!

Weiter oben konnten wir die zehn Seilschaften, welche alle vor uns lagen, langsam im Nebel und in windigem Wetter entschlossen voranschreitend verschwinden sehen! Da das Wetter keine lange Diskussion zuließ, da wir wegen der kalten und windigen Temperaturen in Bewegung bleiben mussten, fiel die Entscheidung weiterzugehen. Schließlich waren wir drei Bergführer in einem Team mit je einem Gast, welches auch eine gewisse Sicherheit vermitteln ließ.

Kurze Zeit später holten wir die erste Seilschaft ein, welche eigentlich umdrehen wollte, sich dann umentschied doch weiterzugehen, als sie sah, dass wir, die drei Seilschaften, uns entschieden hatten Richtung Gipfel zu gehen. Bald darauf überholten wir wieder eine Seilschaft auf der Haifischflosse. Von da an waren die Verhältnisse eisig und an mehreren Stellen mussten wir mit Eisschrauben sichern.

Die Sicht blieb schlecht und das Wetter windig bis stürmisch und kräftezehrend. Schlussendlich kletterten wir die ganze Tour wegen der verschneiten Verhältnisse mit Steigeisen, was Zeit und Kräfte raubender ist und waren erst nach elf Stunden im Refugio Marco e Rosa. Es ging alles gut, jedoch waren unsere Gäste ziemlich am Limit, wenn auch happy und stolz!

Die letzte Seilschaft, um welche ich mir kurz vor Dunkelheit richtig Sorgen machte, kam eine halbe Stunde vor Einbruch der Dunkelheit auf der Hütte an, da sie sich unter anderem bei der schlechten Sicht verstiegen hatten

Meine Alpine Lesson ist folglich: Wenn die Verhältnisse anspruchsvoll sind, das Wetter schlechter als angesagt ist und der Gast nicht außerordentlich fit ist, würde ich ganz klar umdrehen – selbst, wenn ich die Einzige von elf Seilschaften wäre, die abbrechen würde. Natürlich ist es stets das Ziel, dass alle drei Bedingungen – also Verhältnisse, Wetter und Mensch (Fitness des Gastes) – auf Grün zeigen. Jedoch ist die Realität des Bergführerberufes oft vielschichtiger und durch alleiniges Abwarten, dass alle Bedingungen perfekt sind, ernährt man sicherlich auch keine Familie.

Unsere Tour war ein klassisches Beispiel von Gruppendynamik, da die Mehrheit diese durchzog, während die hinteren und schwächeren Seilschaften sich mitreißen ließen – was aber brutal gefährlich werden kann. Dieses Mal ist alles wie so oft zum Glück gut gegangen und die wenigsten Seilschaften machen sich große Gedanken, was an der Tour nicht gut gelaufen ist. Früher und mit viel weniger Erfahrung hätte ich das vermutlich auch nicht. Jedoch kann sich jeder selbst ausmahlen wie schnell man bei dem starken Wind und bei den kalten Temperaturen auf 4000 Metern an einer Hypothermie stirbt, wenn man gezwungen ist einige Stunden dort im Sitzen auszuharren, geschweige denn die ganze Nacht, weil man sich beispielsweise das Knie verdreht hat!

PS: Vielleicht noch gut zu wissen ist, dass man am Biancograt ab einer gewissen Höhe einen„Point of no return“ erreicht hat, da das Runtersteigen länger dauert und anspruchsvoller ist als das Weitergehen, um über den Gipfel zur Hütte zu kommen. Diese Situation wird sich in Zukunft noch immer mehr verschärfen, da der Biancograt immer mehr zu einer Eistour wird, speziell im Spätsommer und Herbst! Am Hörnligrat des Matterhorns zum Beispiel kann man gut und gerne auch bei suboptimalen Bedingungen noch etwas höher steigen, denn man geht so oder so denselben Weg wieder zurück. Am Biancograt jedoch sollte man sich allerspätestens vor der Haifischflosse, besser jedoch auf der Fuorcla bewusst machen, dass es wirklich mühsam und schwierig wird, umzudrehen.

Ich wünsche euch weiterhin viel Geduld und Passion beim Bergsteigen und den Mut zum Umdrehen! Denn das Einzige, welches bei einem Abbruch einer Tour stirbt, ist dein eigener Stolz!